aus Faust-Kultur
Nicht nur bedrohliche Situationen bringen Überreaktion und Gereiztheit hervor, die sich zu oft mit Beschimpfung und Beleidigung Luft machen. Doch mit Verstand geht es auch anders. An einigen Beispielen zeigt die italienische Philosophin Cinzia Sciuto, auf welcher Sprachebene wir miteinander zurechtkommen können.
Wie nie zuvor erkennen wir heute, wie stark die Aktionen, die Entscheidungen, die Verhalten der Anderen unser Leben beeinflussen. Das passiert natürlich immer, aber in dieser Zeit zeigt sich dieser Zusammenhang besonders klar. Wenn unser Nachbar den Abstand nicht einhält, fühlen wir uns sofort bedroht, weil wir befürchten, dass er uns anstecken kann (oder wir ihn, natürlich. Aber daran denken wir weniger). Auch ganz einfache und normalerweise völlig sinnlose Aktionen, wie Toilettenpapier zu kaufen, zeigen heute ihren tiefen sozialen Wert: Wenn viele Leute zu viel Toilettenpapier kaufen (warum denn eigentlich?), bleiben die anderen ohne. Was nicht schön ist.
In Italien gab es in den letzten Tagen heftige Diskussionen über Leute, die in dieser Zeit der Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen draußen Sport machen wollen. Die einen sagen, dass diese Leute sich nicht verantwortungsvoll gegenüber den anderen verhalten, die anderen, dass sie keine Gefahr darstellen und dass Sport unter bestimmten Bedingungen erlaubt sei. Beide haben recht. Und beide haben auch das Recht, die Argumente der anderen in Frage zu stellen, sofern die Diskussion auf einem politischen Niveau bleibt. Was nicht immer der Fall war. Die Töne sind heftig geworden. Einerseits haben Leute von den Fenstern auf die Jogger geschimpft und sie bedroht; Bürgermeister haben Videos verbreitet, in denen sie sich mit Sarkasmus gegen „all diese Läufer“ geäußert haben. Andererseits haben einige „Läufer“ unter dem Motto „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“ mit Unverfrorenheit geantwortet.
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