Multikulturalismus Politischer Islam

LEHRER VON EINEM ISLAMISCHEN EXTREMISTEN GEKÖPFT: WIR KÖNNEN UNS DEN LUXUS DER GLEICHGÜLTIGKEIT NICHT LÄNGER LEISTEN

Die grausame Hinrichtung eines französischen Lehrers, der schuldig war, Karikaturen über Mohammed gezeigt zu haben, ist nur das letzte Glied in einer Kette. Es ist an der Zeit, dass alle – und in erster Linie die Muslime Europas – erkennen, dass wir uns den Luxus der Gleichgültigkeit nicht länger leisten können.

Letzten Freitag wurde ein französischer Lehrer enthauptet, weil er im Unterricht einige Karikaturen über Mohammed gezeigt hatte.

Ein Lehrer. Enthauptet. Aufgrund Karikaturen.

Die schreckliche Hinrichtung von Samuel Paty – ermordet am helllichten Tag von Abdullakh Anzorov, einem 18-jährigen russischen tschetschenischen Mann, der nach dem Mord ebenfalls von der Polizei getötet wurde – ist kein Blitz aus heiterem Himmel, kein isoliertes Ereignis ohne jeglichen Zusammenhang, keine Geste eines aus dem Nichts kommenden Mannes. Was am Freitag in Conflans – einer kleinen Stadt in der Île-de-France, die heute betrübt und schockiert ist – geschah, ist das letzte Glied in einer Kette von Ereignissen, die sich in den vergangenen Tagen ereignet hat und die wiederum in einen noch breiteren Rahmen einzubetten ist. Und es sind diese Ereignisse und dieser Rahmen, die aus politischer und sozialer Sicht viel alarmierender sind als die einzige, letzte mörderische Geste.

Samuel Paty war Lehrer für Geschichte und Geographie. In den vergangenen Tagen, zu Beginn des Prozesses wegen des Attentats auf Charlie Hebdo, wollte der Lehrer einen Unterricht über einen der Grundwerte der Französischen Republik, die Meinungsfreiheit, erteilen und zeigte dazu auch einige der von der französischen satirischen Zeitung veröffentlichten Karikaturen, die Mohammed darstellen. Übrigens, wie kann man die Geschichte von Charlie Hebdo erzählen, ohne zu erklären, was das Massaker an der Redaktion im Januar 2015 verursacht hat? Es sind auch muslimische Schüler im Klassenzimmer, Paty weiß das natürlich, und aus diesem Grund warnt er davor, dass er im Begriff hat, diese Bilder zu zeigen und bietet denen, die die Bilder nicht sehen möchten, die Möglichkeit das Klassenzimmer zu verlassen. Er will aber nicht, den Unterricht aufzugeben. Und warum sollte er das schließlich tun? Das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein Wert, den alle französischen Bürger ungeachtet ihres Glaubens hochschätzen sollten, nicht wahr? Tatsächlich haben mehrere der muslimischen Schüler Patys Unterricht geschätzt, genau wie ihre Klassenkameraden.

Wer den überhaupt nicht geschätzt hat, war der Vater einer Schülerin, der in den Tagen nach Patys Unterricht den Vor- und Nachnamen des Lehrers sowie die Adresse der Schule veröffentlichte und zur Mobilisierung aufrief, um Patys Unterricht irgendwie zu blockieren. Der Elternteil zeigte den Lehrer sogar wegen der Verbreitung pornographischen Materials an und ging persönlich zur Schulleitung, um die Entfernung des Lehrers zu fordern. Begleitet wurde er bei dieser Gelegenheit von Abdelhakim Sefrioui, ein bekannter Islamist. Sowohl Sefrioui als auch der Vater des Schülers wurden verhaftet, zusammen mit einigen Familienmitgliedern des Mörders. Bis heute sind 11 Personen wegen des Mordes an Paty verhaftet worden.

Natürlich muss die Rolle jedes Einzelnen in der Dynamik der Tatsachen geklärt werden. Was aber schon außerordentlich klar ist, ist, dass Paty tagelang (wenn nicht sogar monatelang) im Zentrum einer hämmernden Kampagne der Diffamierung durch einige extremistische muslimische Familien stand und dass weder die Schule, noch die Polizei (an die sich Paty in den letzten Tagen gewandt hatte, weil er durch die erhaltenen Drohungen verängstigt war) oder der Rest der muslimischen Gemeinschaft in der Lage waren, ihn zu schützen.

Jedes Mal, wenn ein islamischer Angriff ausgeführt wird, wird das übliche, abgedroschene und offen gesagt unerträgliche Skript erneuert: Muslimische Organisationen verurteilen die Tatsache und distanzieren sich vom Mörder. “Was passiert ist, hat nichts mit dem Islam zu tun” und “Man kann nicht einer ganzen Gemeinschaft die Geste eines Einzelnen vorwerfen”, so lautet der Refrain, der nicht nur von Muslimen, sondern auch von einem großen Teil der europäischen Linken gesungen wird. Dass die strafrechtlichen Verantwortlichkeiten individuell sind, versteht sich von selbst, und das Gericht wird diejenigen ermitteln, die zur Tötung von Paty geführt haben. Wichtig ist jedoch zu verstehen, was und wer für alles, was vorher passiert ist, verantwortlich ist.  Sich vom Mörder zu distanzieren ist selbstverständlich, aber auch viel zu einfach.

Weniger einfach, aber gebührend, wäre es, sich von all den Familien zu distanzieren, die Druck auf die Lehrer ausüben, damit sie ihren Unterricht ändern, die ihren Töchtern den Besuch bestimmter Unterrichten verbieten (und damit ihr Recht auf Bildung verletzen), die (nicht unbedingt mit Gewalt, die immer und nur die letzte Stufe der Pyramide des Zwangs ist) den Mädchen den Schleier aufzwingen, die besondere Gesetze fordern, zum Beispiel eine Ausnahme von dem, was in Frankreich jedes religiöse Symbol im öffentlichen Raum verbietet (und dass die multikulturalistische Rhetorik als “Gesetz gegen den Schleier” durchgeht: eine unehrliche Mystifizierung der Wirklichkeit).

Weniger einfach, aber gebührend, wäre es gewesen, sich nicht darüber zu streiten, ob es für eine Zeitung angemessen wäre, Karikaturen zu veröffentlichen, die manche als beleidigend empfinden, und stattdessen die Freiheit zu beanspruchen, dass jemand auch das veröffentlicht kann, was mich beleidigt, anstatt sich auf Gymkhane-Argumentationen einzulassen, denen sich sogar Papst Franziskus bereitwillig angeschlossen hat: Wenn Journalisten wegen der Veröffentlichung von Karikaturen massakriert worden sind, bedeutet das, dass wir uns nicht den Luxus leisten können, über den Inhalt dieser Karikaturen zu diskutieren.

Weniger einfach, aber gebührend, wäre es gewesen, sofort auf den Facebook Posts dieses Elternteils zu reagieren, indem man öffentlich und laut seine Solidarität mit diesem Lehrer bekundet, den Boden markiert, den öffentlichen Raum physisch und ideologisch besetzt, vielleicht auch T-Shirts mit Mohammeds Karikaturen trägt, da Allah zu groß ist, um sich durch einige Zeichnungen beleidigt zu fühlen.

Stattdessen wird man von dem öffentlichen Raum systematisch mit einem simplen Schulterzucken (“Ich habe nichts damit zu tun, ich muss nichts rechtfertigen”) fernbleiben und damit den Raum zwangsläufig den Fundamentalisten ausgeliefert. Nach dem Anschlag auf die London Bridge, bei dem 8 Tote und 48 Verletzte zu beklagen waren, warb die deutsche Soziologin Lamya Kaddor, eine hoch angesehene Islamwissenschaftlerin und Gründerin der Allianz der Liberalen Muslime in Deutschland, im Juni 2017 in Köln für eine Demonstration unter dem Motto #NichtMitUns – Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror. Die Demo war ein echter Flop (eine der größten muslimische Organisation Deutschlands, der Ditib, hatte zu ihrer Desertion aufgerufen), und viele befragte Muslime erklärten ihre Abwesenheit mit dem Argument: “Ich muss mich als Muslim nicht rechtfertigen”. Aber unsere Position zu einem Problem öffentlich zu äußern, das uns eng betrifft, auch wenn wir nicht direkt dafür verantwortlich sind, ist vor allem ein Signal an diejenigen, die unser Schweigen ausnutzen, in diesem Fall die islamischen Fundamentalisten. Als Sizilianerin bin ich mir dieses Mechanismus sehr wohl bewusst: “Ich bin keine Mafioso, daher ist die Mafia nicht mein Problem” war Jahrelang der perfekte Rahmen, der der Mafia zu Wohlstand verholfen hat. Erst als eine große Zahl von Sizilianern erkannte, dass die Mafia uns betrifft, auch wenn wir keine Mafiosi sind, und dass es in unserer Verantwortung liegt, täglich zu handeln, indem wir die Mafia anprangern und nicht den Kopf in den Sand stecken, konnte der Kampf gegen die Mafia auch durch die Polizeikräfte eine gewisse Wirksamkeit verdienen.

Und so ja, Muslime haben eine klare Verantwortung, zu verhindern, dass fundamentalistische Erzählungen Fuß fassen. Heute wäre es dringend notwendig, dass die Muslime Frankreichs der Einladung folgen, die Macrón vor kurzem in einer wichtigen Rede an sie gerichtet hat und die ersten stolzen Verbündeten bei der Verteidigung der Werte der République werden.

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Chi sono

Sono caporedattrice di "MicroMega". Ho studiato filosofia e ho scritto "Non c'è fede che tenga. Manifesto laico contro il multiculturalismo" (Feltrinelli, 2018); "La Terra è rotonda. Kant, Kelsen e la prospettiva cosmopolitica" (Mimesis edizioni, 2015). Mi occupo principalmente di diritti civili, laicità e femminismo. Vivo a Francoforte sul Meno. Per contattarmi potete scrivere a cinziasciuto@animabella.it

Ich bin Journalistin und Autorin. Ich habe in Rom und Berlin Philosophie studiert und an der Sapienza Universität in Rom promoviert. Ich bin leitende Redakteurin bei der italienischen Zeitschrift für Philosophie und Politik „MicroMega“ und schreibe auch für einige deutschen Medien, u. a. "Die Tageszeitung" und "Faustkultur". Auf meinem Blog „animabella.it“ schreibe ich zu Säkularismus, Frauenrechten, Multikulturalismus und Fragen der Bioethik. Ich habe zwei Bücher geschrieben: "Die Fallen des Multikulturalismus. Laizität und Menschenrechte in einer vielfältigen Gesellschaft" (Rotpunktverlag, 2020; Originalausgabe auf Italienisch Feltrinelli 2018) und „La Terra è rotonda. Kant, Kelsen e la prospettiva cosmopolitica“ (Mimesis Edizioni, Milano 2015). Ich lebe mit meiner Familie in Frankfurt am Main.

Sie können mich unter dieser E-Mail erreichen: cinziasciuto@animabella.it